Von fliegenden Schiffen und weinenden Kindern

So ganz sicher war man sich ja im Hause Jürgens nicht, wie es denn werden würde mit der Wettfahrtleitung, nun da sich der Nachwuchs eingestellt hatte. Und am Runden Tisch wurden ebenfalls schon interessante Theorien diskutiert. "Nun, das ist doch ganz einfach: Das Kind wird in die Luft gehalten und wenn es Zeit für das Startsignal ist, kneift man ihm in den Hintern. Das Geschrei hört man bestimmt über die ganze Startlinie." Dieser zwar sehr praktische, aber dennoch recht martialische Vorschlag wurde natürlich genau wenig umgesetzt, wie die Einführung einer Stillflagge (weißer Schnuller auf rotem Grund) als Ergänzung zum Antwortwimpel AP, mit der Bedeutung: Startverschiebung, da Wettfahrtleiterin gerade beim Füttern.

Ganz im Gegenteil, die Vorbereitungen zum Kurt-Weck-Gedächtnis-Preis liefen so rund wie in den letzten Jahren schon. Die Meldungen kamen, wie gewohnt und trotz heftiger und frühzeitiger Aufforderung, knapp vor Schluss und waren leider nicht viel zahlreicher als im Vorjahr. Jessi und Paul waren entspannt und das Kind auch und das war auch gut so.

Am Samstag morgen erwartete die Wettfahrtleitung ein leicht bewölkter Himmel und jede Mange Wind. 5, in Böen 6 aus West waren angesagt und so sah der See auch aus. Gegen halb zehn war die "Peer Gynt" als Startschiff hergerichtet und bereit zum Auslaufen. Peter Reckmann, der sein Boot dankenswerter Weise wieder zur Verfügung gestellt hatte, war zwar selber verhindert, aber inzwischen hatten Kai und Jessi genug Erfahrung, um das Startschiff sauber zwischen TSV und Hasselwerder gegen den Wind auszurichten. Mit an Bord war Heike, die unersetzliche Uhr und Gerlinde, die bei den Flaggen half. Auf der anderen Seite der Linie lagen Winne und Benn als "Pin-End", die Huddel bildete als selbst die Startlinienbegrenzung. Dieses Verfahren (ohne Starttonne) ist für die Wettfahrtleitung wesentlich einfacher und wird auch z.B. bei der Kieler Woche praktiziert.
Paule und Jan auf dem Gummiboot hatten schnell einen Up-und Down Kurs zum Strandbad hin gelegt und schon kamen die 10 IF-Boote auf den See. Sie versteckten sich in Lee von Hasselwerder vor dem böigen Wind, der schon gerne mal 6 Bft aufs Wasser zauberte. Auch die 13 Varianten kamen heraus. Die meisten legten von den Südufer-Vereinen ab und hatten schon einen spannenden Vorwindkurs zum Start. Der eine oder andere meinte sogar, seinen Spi probieren zu wollen, was schon vor dem Start in einem Sonnenschuss endete. Also wieder weg die Blase, schnell geschöpft und zum Start gefahren.

Pünktlich um 11 Uhr schickte Jessi die IFs auf die Bahn und 5 Minuten später die Varis hinterher. Obwohl beide Starts einwandfrei glückten, lief es nicht bei allen Teilnehmern so gut. Andi Schäfer, der alles in Bewegung gesetzt hatte, um dabei sein zu können, erwischte den schwarzen Pechvogel am Band: Beim Ausrollen der Genua verhedderte der starke Wind das Segel in der Rollanlage und es riss ein. Der Tag war gelaufen. Anschließend jagte der Pechvogel quer über den See und erreichte kurz vor der Försterbucht Herbert Kretschmann. Ihm kam das Fockfall runter. Schnell machte er sich zum SVT auf, ein neues Fall einzuziehen. Doch ein frisch gestrichener Keller versperrte den Weg zur Presszange und somit zum zweiten Start des Tages. Richtig zu kämpfen aber hatte das Feld der Variantas. Kielschwerter haben verglichen mit Langkieler nicht die Stabilität bei viel Wind und so sah man trotz der Vielzahl der Lenze, die Boot und Besatzung mitunter schon gesehen hatten, sportliche Höchstleistung. Und wenn die Kraft in den Armen nicht reichte, wurde mit ganzem Körper- und Gebisseinsatz versucht das Vorsegel dicht zu nehmen. Aber so mancher Skipper zollte Tribut an die Unbill der Witterung und brach aus verständlicher Sorge um Schiff und Gesundheit die Wettfahrt ab. Nach drei Runden Up-and-Down kamen die Helden durchs Ziel und verkrochen sich gleich wieder in Lee von Hasselwerder.

Auch die zweite Wettfahrt sollte aufgrund des weiter zunehmenden Windes wieder verkürzt gestartet werden, doch hier zeigte sich, wie sinnvoll die zuvor beschriebene Flagge gewesen wäre. Denn während in der Startsequenz die Wettfahrtleiterin besagten mütterlichen Pflichten nachging, versäumte es ihr Mann, beim zweiten Start der IFs Sierra rechtzeitig zu stecken. Sie ging erst 1 Minute vor dem Start hoch und somit viel zu spät. Ganz besonders für diejenigen IFs, die an der Huddel starteten, wie Dietmar Falkenberg. Sein Start glückte und schon nach der zweiten Kreuz hatte er einen guten Vorsprung herausgesegelt. Er war auf dem Weg, die zweite Wettfahrt genauso zu gewinnen, wie die erste. Da er jedoch die Verkürzung nicht gesehen hatte, fuhr er nach der dritten Runde nicht ins Ziel, sondern wunderte sich nur , dass seine Verfolger abgetutet wurden. Die Gerechtigkeit folgte später am Grünen Tisch: Nach kurzer Wiedergutmachungsverhandlung mit Micky Guntsch wurde Dietmar mit der Punktzahl für den Ersten wieder eingesetzt. Bei den Variantas zeigte sich, dass der Wind, der inzwischen stabil mit 6 Bft aus West kam und in den Böen gerne noch ein bis zwei Schippen drauf legte, die Grenze des Zumutbaren erreicht hatte. Auf den Vorwindkursen hatte man auf dem Startschiff das Gefühl, die Schiffe würden einem entgegen geflogen kommen. Nur 5 der gemeldeten 13 Boote erreichten das Ziel. Die übrigen brachen die Wettfahrt ab oder starteten erst gar nicht. Jessi zögerte nicht lange und schickte die Segler heim. Während des Ankermanövers des Startschiffs wurden 20 m/sec auf der Windlupe der Peer Gynt angezeigt. Das war eine satte 8 Bft, also die richtige Wahl. Zumal an Land das Schuppenfest wartete. Bei heißen Rhythmen und kühlem Bier feierten die Segler mit den TSCern ausgelassen bis tief in die Nacht.

Am nächsten Morgen war das Wetter moderater. Der Wind hatte sich leicht gelegt und wehte mit 4, später auch mit 5 Bft weiterhin aus West. Schnell war der Kurs gelegt und Jessi startete die dritte Wettfahrt der IFs. Während am Vortag Baby Leonie sich schlafend bzw. trinkend mit der Startschiffhupe arrangiert hatte, erschreckte an diesem Tag das Schallsignal die Kleine massiv. Jeder Ton wurde zunächst mit einem verwirrt verwundertem Blick und dann mit großem Geschrei quittiert, so dass sich Kai mit der kleinen zu den Starts ins Vorschiff zurückzog und mit echten Seemannsshanties die Kleine erfolgreich beruhigte. (Fachleute fragen sich natürlich, was gruseliger ist: 4 Tuts in der Startvorbereitung oder 7 Minuten Gesang von Herrn eben-doch-nicht-so-ganz-Udo-Jürgens... Mir egal: Meine Tochter ist diesbezüglich ziemlich definiert gewesen und das ist auch gut so. Ha!)

Viel spannender als im Vorschiff ging es dagegen auf dem Wasser zu. Bei den IFs konnte Herbert Kretschmann nach vielen Positionskämpfen mit Dietmar Falkenberg, Harald Witzel und Carsten Edinger jede der drei an diesem Vormittag gefahrenen Wettfahrten gewinnen. Ein versöhnlicher Trost nach den Malessen vom Vortag. Bei den Variantas boten Frank Wehner und Bernd Korytowski mit 3 zweiten Plätzen die solidiste Leistung des Tages.

Auf der Terrasse des TSC zeigte es sich dann aber leider, dass diese nicht zum Sieg gereicht hatte: Sieger wurden Thomas Kaiser (WASPO) und Peter Lublow (SKN), vor Frank Wehner (SKN) und Bernd Korytowski (TSC) und Stefan Freitag-Schlauch (SCS 97) und Knut Herbold (SCN). Bei den IF-Booten durften sich über die von Heinz Kieburg gravierten Sektkühler freuen: Dietmar Falkenberg mit Holger Falkenberg und Mario Bold (TSC) vor Carsten Edinger (SCS), Gunnar Perlitz (SpYC) und Daniel Edinger (SCS) und Harald Witzel und Martina Wagner (WACK). Die Aufholjagd von Herbert Kretschmann (SVT) führte Ihn und sein Team Robert Kühns und Mario Eckardt auf den 4. Platz.

Der Kurt-Weck-Preis ist immer eine herausfordernde Angelegenheit, ob auf dem Wasser oder an Land und so freuen wir uns auf Euch auch im nächsten Jahr. Dann abgestillt und ohne weißem Schnuller auf rotem Grund aber mit genauso viel Spaß wie in diesem Jahr!

Kai Jürgens