Eissegeln, der heiße Ritt auf drei Kufen

Anfang Januar fiel die Temperatur auf einen neuen Tiefststand seit der systematischen Wetterdatenerfassung im TSC vor 4 Jahren: -16.9°C versprachen viele fest an ihren Platz im Kristallgitter gebundene Wassermoleküle, also schönes dickes Eis. Und wer aufmerksam den Verlauf der Wassertemperatur auf der Webpage verfolgte, konnte den Eisaufbau auch verfolgen. Zunächst fiel die Wassertemperatur rasant innerhalb von 96 Stunden von gut 4° auf 2.2°. Eis bildete sich und kühlte das Wasser ab. Dann jedoch stieg die Temperatur auf 2.5° und blieb dort konstant. Die Eisdecke war geschlossen, die Restwärme war die Bodenwärme auf ca. 60cm Wassertiefe im dicken Schlamm der Malche. Solange diese Temperatur gehalten würde, wächst das Eis.

Und tatsächlich, schon nach wenigen Tagen waren die magischen 15cm Dicke erreicht. Die Eissegelsaison 2009 konnte eröffnet werden. Doch zum Eissegeln gehören viele Faktoren: Neben lang anhaltender Kälte, wenig Schnee und der schicken Sonne, war Wind die letzte Zutat, die sich am 10. Januar nun so gar nicht einstellen wollte, als sich etwa 40 TSCer auf dem Eis versammelten, um vier DN-Schlitten zu taufen. Neben dem "Cool Macho" von Hanne und dem "Piraya" von Gisi standen "Scrat" von Nicki und Micha sowie "K'Ice" von Kai, um von Hanna mit Sekt beträufelt und auf die Reise geschickt zu werden. Natürlich wünschte die Kleine keine Handbreit Wasser unter dem Rumpf, sondern mindestens eine Handlang Eis.

Dann ging es los: Mit Schwung schoben Kai und Nicki ihre Schlitten, doch viel Wind war nicht und so war es eher eine Schweiß treibene Schieberei, denn eine rasante Fahrt. Doch das sollte sich am folgenden Wochenende ändern. Nach einigen erholsamen Tagen trafen sich die Helden der kalten Accelaration wieder vorm Club. Dieses Mal war mehr Wind gekommen. Der Samstag war wundervoll. Sonne, leichte Brise und viel Spaß. Sechs Schlitten glänzten auf dem Eis. Zu den vier Täuflingen des Wochenendes zuvor waren noch Dietmar und Achim hinzugestoßen. Auf dem See hatte sich bei Nordwind eine stabile Brise mit zwei Beaufort ausgebildet und trieb die Schlitten zwischen Strandbad und Wasserwerk auf und ab. Nur Hanne hatte Pech: Beim Versuch den Kurs Richtung TSV zu verlängern, kam er an einen Spalt im Eis. Der Schlitten brach ein, doch konnte Hanne den Rumpf wieder aufs Eis bringen und so nur mit einer leicht nassen Hose den Kurs beenden. Der See ist tückisch und bei aller Freude für die wohl schnellste Fortbewegung unter Segeln, darf die Sicherheit nicht vergessen werden.

Aber das wird sie auch nicht: Die Bekleidung eines Eisseglers umfasst einige Details, mit denen sich die Protagonisten im Sommer eher selten auf ihren Booten schmücken. Augenfällig ist der Helm, ein klares Muss für Eissegler. Der Baum des Schlitten wird sehr weit auf Deck gezogen. Fährt man nun Wende oder Halse, so schlägt der Baum und trifft einen unwillkürlich am Schädel, wenn man gerade versucht drunter durch zu tauchen. Auch die Skibrille ist notwendig. Der schneidende Fahrtwind lässt einen sonst die Augen tränen. Ein Gesichtsschutz über Mund und Nase ist ebenfalls ratsam, denn nicht nur, dass sonst die Gesichtzüge tiefgekühlt werden, auf unebenem Eis wirft die Lenkkufe auch schon mal Splitter hoch, die beim Auftreffen keine Freude für die unterkühlte Gesichtshaut sind. Dann braucht ein Eissegler Dubben. Das sind zwei Plastikgriffe mit einem Metallpiekser unten dran. Bricht man dann wirklich ein, kann man sich mit den Pickeln dann wieder über die Eiskante aufs Eis ziehen. Praktischerweise sind Bänder dran, damit man sie nicht verliert  und man kann die Dinger in einer nicht weniger praktischen Halterung um den Hals tragen. Dann kommt die Schwimmweste. Typisch für Segler eigentlich, hier jedoch zumeist unter der Jacke getragen, wärmt sie und sorgt im Falle einer unliebsamen Wasserung dafür, dass man nicht vergisst, wo oben ist und die so praktischen Dubben einzusetzen sind. Schließlich wird der Eissegler von Spike-bewehrten Derben Schuhen nach unten hin abgeschlossen. Spikes sind elementar, wenn man versucht, den Schlitten auf dem spiegelglatten Eis anzuschieben oder wieder abzubremsen. Denn eine Bremse haben die Dinger nicht. Zum Anhalten dreht man den Bug in den Wind, hält vielleicht das Segel back und stellt da die Füße aufs Eis, drückt und wartet. Ohne Spikes kann man da schon etwas länger warten, was bei einem eventuell näher kommenden Ufer, Steganlage, Eisloch, Mitsegler, Spaziergängergruppe unangenehm würde. So damit wäre der Segler fast komplett, fehlt nur noch ganz viel warme Kleidung, idealerweise aus der Skifahrerkiste. Dass man sich mit dem ganzen Zeugs noch bewegen kann, grenzt bald an ein Wunder, geht aber und mit ein wenig Übung sieht es auch halbwegs elegant aus.

Am Samstag jedenfalls drehten wir fröhlich unsere Runden. Während für den Sonntag etwas mehr Wind angesagt war, ließen leichte Plusgrade viele Segler im Hafen bleiben. Leider bleib die Witterung zunächst mild und regnerisch. Wir bauten die Schlitten ab und legten sie in den Schuppen.

Zwei Wochen später hatte es sich Väterchen Frost wieder zu unseren Gunsten überlegt. Samstag morgen, 31. Januar. Die Sonne strahlt vom Himmel, doch bis zum Boden kommt sie noch nicht. Dazwischen hatte sich eine üble Schneewolke gedrängt, die dickes graupeliges Schneeeis auf den blankpolierten See warf. Macht nichts, gegen 11 Uhr scheint sie dann vom Himmel. Am Club machen sich 6 Schlitten bereit. Axel Heinrich ist dazugekommen, dafür ist Dietmar nicht dabei. Der Wind kommt aus Ost, also müssen wir mit achterlichem Wind raus. Gar nicht so einfach bei der leichten Briese. Der Start eines DN-Schlittens ist bei leichtem Wind nicht ganz einfach. Man schiebt etwa mit 45° zum Wind so an, dass man eine ausreichend starke Anströmung am Segel erreicht, dass der Schlitten von selbst Fahrt gewinnt. Dann legt man sich ins Cockpit und nimmt das Segel vorsichtig dicht. dabei immer schön auf die Bändsel achten. Nun sollte der Schlitten schon beschleunigen. Der Fahrtwind nimmt zu, das führt dazu, dass der scheinbare Wind vorlicher einfällt. Man nimmt also noch dichter und wird somit noch schneller. Nun hat man das Segel also schon dicht. Was bleibt? Abfallen, bei dichtem Segel natürlich. Wieder wird man schneller, bis man schließlich vor Wind dahinbraust, mit einer Segelstellung, die einem Am Wind Kurs entspricht. Irre. Doch wenn man noch langsam ist, sind Vorwindkurse schwierig, denn der Segelschnitt ist wahrlich nicht für eine Raumwind-Konfiguration gedacht.

Langsam und immer wieder anschiebend trödeln wir auf den See raus. Dort hinter Hasselwerder ist die Abdeckung fort und der Wind wird stärker. Attacke, das Kräfteparallelogramm stimmt. Mit großer Geschwindigkeit geht es auf und ab zwischen Südufer und Försterbucht.

Ähnlich wie beim Tornadosegeln fährt man mit den Eisschlitten eher eine Halse denn eine Wende. Durch den Vorwindanteil des Halsenkurses wird der Schlitten extrem schnell, was man auf dem folgenden Reach gut nutzen kann. Aber eine Halse ist, wie in jedem Boot, nicht ganz unkritisch. Durch die hohe Geschwindigkeit und den Drehimpuls des umschlagenden Segels kann der Schlitten leicht ins Rutschen kommen und eine ungewollte Pirouette drehen. Das ist schlecht für den Kufenschliff und führt dazu, dass man in der nächsten Halse noch mehr aufpassen muss. Der Wendenkurs ist natürlich vom Manöver her etwas sicherer, allerdings schlägt der Baum im Wind sehr stark hin und her, was den Helm zwingend macht und natürlich wird der Schlitten langsamer. Auch Eissegelneuling Kete, der auf dem Schlitten von Gisi seine ersten Erfahrungen machte, staunte nicht schlecht und wünschte sich ein ums andere Mal einen Trapezgurt, um die Luv-Kufe auf dem Eis halten zu können. Ihn hatte das rasante Fieber gepackt, mit schlotternden Knien bremste er sich in die Gruppe ein, um bereit für ein Gemeinschaftsphoto zu stehen. Zum Abend hin nahm der Wind etwas ab, so dass die Eiskufenfreaks sich bei einem guten Heißgetränk in der Schifferstube ausruhten.

Der Sonntag begrüßte uns mit einem grauen Himmel zwar, jedoch mit noch mehr Wind. Auf dem See ging es ruppig zu. Böige Brisen brachten die Schlitten auf Höchstgeschwindigkeit. Mit 77 km/h maß Achim den bislang höchsten Wert. Wir hatten zwar am Morgen noch die Kufen geschliffen, doch die hohen Querkräfte in Halsen und Wenden brachten die Schlitten zum Sliden. Die Kufen wurden wieder rund, was den Effekt weiter verschärfte. Ein Nachmittag für Leute mit Erfahrung und guten Nerven, wie ich feststellen musste, als ich nach der letzten ungewollten Halsendrehung Kurs TSC setzte. Extreme Geschwindigkeiten hatten wir erlebt, die den See, trotz gesamter Breite, sehr klein werden ließen und uns alles abverlangten. Dennoch: Eissegeln macht süchtig und so hoffen wir, dass das Eis noch bleibt, damit wir die Schlitten noch nutzen können. Denn wer weiß, wann es wieder einmal soweit ist. Den letzten Einsatz hatte mein Gefährt vor drei Jahren, der Klimaerwärmung sei Dank...

Kai Jürgens