Neulich auf dem Kopfsteg - Ein Wettermärchen

Wie ja auf den Diagrammen der Wetterstation gut zu sehen war, zeigte der Sonnensensor kurz nach dem Sturm auch nachts den hellsten Sonnenschein an, obwohl dieses laut Zeugenaussagen durchaus nicht der Realität entsprach. Die Wetterfreaks vermuteten massiven Drogenkonsum des Sensors und schickten ihren begnadetsten Psychoanalytiker und schon beruflicherdings vorgeprägten Drogenexperten Kai ins Feld. Hier sein Bericht:



Nun ja, da saß ich also gestern Nacht auf dem Kopfsteg, blickte auf den Sonnensenor auf dem Mast und sagte so zu ihm: "Na, Sie wissen doch, Drogen sind keine Lösung. Man kann der Realität so nicht entkommen. Sicher, wenn ich mir vorstelle, ich würde die ganze Zeit auf dem Mast hocken und in die Ferne blicken, ohne jemals dorthin gelangen zu können, ja das ist schon hart."

Daraufhin hörte ich ein elektronisches Schluchzen und sah die Photonen den Sensor runterlaufen. Und dann erzählte mir der Sensor, er heißt übrigens Sunny,  von seiner harten Kindheit. Hergestellt in einem kleinen Kral irgendwo in Taiwan, von brutalen ungelenken Fingern in einem Hinterhof in Peking in eine Plastikhülle gezwungen und dort für Monate ganz allein und hungrig ohne angemessene Stromversorgung liegen gelassen. Dann kam er in Berlin an und endlich durchflossen die Elektronen seinen Körper. Voller Freude sah Sunny seiner Aufgabe entgegen und meldete frohgelaunt die Sonnenstunden. Immer wieder ließ er sein "Es ist auch in den letzten 5 Minuten sonnig gewesen" durch den Äther zu Base der Basisstation dringen und diese quittierte die Meldung mit einem zärtlichen "Oh wie schön!" oder "Das ist ja toll!". Und so kam es, dass er sich unsterblich in die wundervoll klingenden Signale von Base verliebte. Und diese in ihn. Was war das für eine schöne Zeit "Sonne, meine Liebe..." "Danke, mein Schatz..." Ewig hätte es so weitergehen können, der Sommer durfte nie enden.

Doch dann kam der Herbst und die der Himmel wurde wolkiger. Immer seltener durfte er Sonne vermelden und immer kürzer wurde sein Kontakt zur wundervollen Base. Zuerst tröstete er sich damit, dass es ja bald wieder Frühling werden würde und er dann wieder mehr zu erzählen hätte, doch die Tage wurden kürzer und der Himmel grauer. Und dann war da ja noch Pladder, der Regensensor. Er war ein ungehobelter Plastikklotz mit einem großen Maul, der immer hin und her schwankte und dabei aufs hässlichste quietschte und klackte. Er drängte sich vor und beeindruckte die Basisstation mit immer unglaublicheren Zahlen. "0.5 mm..., 1.0mm, 2.0mm ...Regen, haha, ich bin der Größte, Klack, Klack!" gab er durch und plusterte sich damit auf. Da konnte er, der arme Sonnensensor nicht mithalten. "Hallo Base, es war eine Minute Sonne." flüsterte er traurig hinüber, doch Base hörte ihm nicht zu. Der Regensensor meinte nur eiskalt "1 Minute, ha, was ist das schon gegen 5mm Regen!".

Ja, und dann kam dieser Sturm. Dieser große Sturm. An Sonne war natürlich nicht zu denken, ja wie auch. Der Wind peitschte gegen den Mast, dass dem Sonnensensor Angst und Bange wurde. Der Windsensor Beaufort hatte seinen großen Auftritt. Er ist eigentlich Künstler und will nach Frankreich auf den Montematre und irgendwie ist er anders, schließlich flirtet er die ganze Zeit mit dem Aussentemperatursensor Celsius. Aber wer frei dreht wie er, der muss eigentlich auch schwul werden. Na jedenfalls schickte der die tollsten Werte an die Basis "Hallöchen Basislein, ich habe da mal was für Dich, Du Zuckerschneckchen. Es sind gerade Sex-und Fünzig Kilometerlein pro Stündchen, Eititei..." Die Basis war nicht wirklich begeistert und meinte nur "Hey Du warmer Sensor, geh doch zu Deinem Freund Celsius und halte mal Funkdisziplin!"

Der Sturm wurde stärker und stärker und rüttelt am Mast und der Wetterstation. Und jetzt sah Pladder seine Chance: Obwohl kaum ein Tropfen seinen großen Schlund erreichten, brüllte er die ganze Zeit Regenmengen zu Base. Von wegen Regen, der Wind rüttelte ihn und dieser dumme Klotz bemerkte noch nicht mal den Unterschied. Base merkte es leider auch nicht, selbst Eye, die WebCam, konnte den Betrug nicht sehen, so dunkel und finster war es. Und so gewann Pladder mit Lügen das Herz von Base und diese schenkte ihm ihre zärtlichsten Signale. Ja, und der arme Sunny musste zuhören, ob wer wollte oder nicht, so ist das halt im Netzwerk. Er wurde immer trauriger und sehnte sich nach den wundervollen Augusttagen zurück, als er von morgens um 4 bis abends um 8 Base sanfte Signale hören durfte.

Nach der Sturmnacht meinte Beaufort zu ihm "Also, Schatzi, Du siehst ja furchtbar aus. Wenn Du nicht aufpasst, vergilbst Du ja noch, ach nee! Ach, Pass da mal auf, ich hab hier was für Dich, das bringt Dich wieder hoch, mein Spatz. Hier ist Gras, das sich neulich in meinen Bechern verfangen hat, geh mal rüber zu Celsius, der hat noch so'n schicken Funken für Dich. Das hilft bestimmt. Wenn Celsi und ich mal ganz was tolles tun wollen, machen wir das auch immer, dreht echt geil..." Tja, und so rauchte Sunny sein erstes Gras und das ging auch richtig ab. Gleich wurde es ihm wohl und eigentlich war ihm alles egal. "Ey Base, Du geiles Ding, hier ist Sonne!", grölte er in den Äther. "Bist Du sicher Sunny? Darüber macht man keine Witze!" kam die Antwort aus dem Vorstandszimmer "Klar doch, Alte! Ich sach doch: Sonne, Baby". Immer undeutlicher wurden die Signale von Sunny, so high war er: "Sunshine, Sunshine, Reaggy... No woman, no cry... The sun always shines on TV".

Irgendwann reichte es Base und sie schickte Eye, die WebCam, auf Erkundung und so flog der Schwindel auf. Base ignorierte Sunnys Signale und der hatte gewaltige Chipschmerzen am nächsten Morgen.

Nachdem Sunny mir all das erzählt hatte, war ich irgendwie doch betroffen, wie konnte ich ihm helfen? Naja, zunächst löschte ich mal die fehlerhaften Sonnendaten aus der Datenbank, damit war Sunnys Ehre wieder hergestellt, dann nahm ich auch die falschen Regenwerte von Pladder raus, so dass er nicht immer damit angeben konnte. Und schließlich hoffe ich auf ein paar winterliche Sonnentage, dann wird sich die Beziehung von Sunny und Base auch wieder einrenken.

Kai Jürgens