TEGELER SEGEL-CLUB e.V.
Segeln seit 1901 im Norden Berlins
tsc stander

Manche Forscher behaupten ja, dass mit den Australopithecus afarensis die Vorfahren des Menschen vor etwa 3.3 Millionen Jahren den aufrechten Gang erlernt haben. Versetzen wir uns doch mal kurz in diese Zeit zurück. Man stelle sich ein entsprechend behaartes Wesen auf den weiten Steppen des ethiopischen Hinterlandes vor, was sich heute zwar durch seine unnachahmliche Kargheit auszeichnet, damals wohl aber eher den Anschein des brandenburgischen Kernlandes während eines trockenen Aprils gehabt haben soll.

Nun steht also dieses Wesen, man mag es für sein Zeitalter als state-of -the-art Krone der Schöpfung betrachten, in der Steppe und schaut sich um. Und was es sieht, durch seine Augen, die aufgrund des aufrechten Ganges schon von recht weit oben auf das Gras herabblicken, beunruhigt mitunter sehr. Da schleicht zum Beispiel der Vorfahr von Kommissar Rex durch die Wiese, damals noch nicht sonderlich auf Wurstsemmeln und Verbrecherjagd trainiert, sondern eher im Sinne von back-to-the-roots  seine Sinnesorgane bestimmungsgemäß zu verwenden auf Berserk-Tournee befindlich: "Wesen mit zwei Beinen = lecker!", also "Come and get it!". Verweilt man eine  Sekunde auf diesem Szenario, stellt man unwillkürlich fest, dass die Evolution zeitgleich mit dem aufrechten Gang auch das schnelle Laufen und somit den Marathon erfunden haben muss. Hierbei sei angemerkt, dass es eine nicht zu unterschätzende wissenschaftliche Strömung gibt, die die Erfindung des nordic walking vor die des Marathonlaufens setzt, schließlich haben ja die weiblichen A. afarensis ebenfalls überlebt und von wem sollten diese die Handhabung von so komplexen Werkzeugen wie Stöcken gelernt haben? Wie immer dieser akademische Disput auch enden mag, sicher ist allemal, dass drei wesentliche Dinge bis heute geblieben sind: 1.) Es gibt Menschen, die gerne über lange Strecken rennen; 2.) siegen tun immer die Afrikaner und 3.) Läufer und Hunde sind schon evolutionsbiologisch gesehen Feinde.

Es geht ja die Mär, dass der Norden Deutschlands so platt sein soll, wie die Menschen, die darin leben. Das mag auch gut für die westliche Hemisphäre zutreffen, im Osten des nördlichsten Bundeslandes jedoch zeigen sich die Reminiszenzen der letzten Eiszeit als unangenehme Hügelkette, die sicher auch schon den behaarten Vorfahren bei ihren Versuchen Lassie zu entkommen saure Beine beschert hat. Und aus dieser Region der Welt stamme ich ja bekanntlich. Von Kindesbeinen an bin ich, um die Abendteuer der großen weiten Welt mit meinen Kumpanen zu erleben, auf meinem 17" Kinderbike durch die Hügel gebraust und habe Wald und Moor unsicher gemacht. Ans Laufen dachte ich damals mit Stummelbeinchen und von Mutter gut genährt noch nicht. Doch die Gene der Vorfahren kommen durch, irgendwann aber unaufhaltsam. Und so zog ich in meiner Zeit in der rheinischen Tiefebene irgendwann mal die Laufschuhe an, denn die gehärteten Fußsohlen schienen irgendwo zwischen Pleistozän und Holozän auf der evolutionären Strecke geblieben zu sein, sehr zu Freude von Nike and Asics. Ein unglückliches, geradezu zufälliges Zusammentreffen mit anderen Leuten ähnlicher Ausrichtung führte recht schnell zu abgeklebten Brustwarzen, Vaseline unter den Achseln und schlussendlich zur Teilnahme an 9 Marathons, bis dann ein Fußbruch das Laufgen verschüttete. Was wiedererwachte war das Segelgen, das scheinbar eine allele Form des Laufgens ist, denn beides lässt sich nur schwer mit einander kombinieren. Doch so ganz abgeschaltet wurde das Laufen durch das Segeln nie, immer wieder suchten die Schuhe die Füße und sei es auch nur auf Dienstreisen in aller Frühe.

Erst ein bierseeliger Abend am Runden Tisch verhalf dem laufenden Urinstinkt erneut zum Durchbruch. Jo, lass uns doch mal Laufen, meinte Paul und war sich der Bedeutung dieser Worte noch gar nicht so bewusst. Es war kurz vor dem Pseudowinter 2006/7 als wir die ersten Runden im Tegeler Forst drehten und uns beide langsam an die wohl schönste Fortbewegung des Menschen gewöhnten. Zunächst gab ich nicht viel auf die Einheiten, war ich mir doch sicher, dass wir sie bald wieder aus Mangel an Zeit und unbeschneiten Wegen wieder einstellen würden. Doch der Winter blieb mild und Paul bei der Stange. Als wir ins Frühjahr kamen, waren wir recht fit. An einem Samstag Nachmittag im Januar wollten wir unsere erste Herausforderung angehen: Rund um den nördlichen Teil des Tegeler Sees. Wir starteten in Tegelort und liefen immer am Wasser lang bis Heiligensee und von dort nach Henningsdorf. Hier überquerten wir die Havel und liefen am Bombardier-Werk an den Niederneuendorfer See. Immer weiter ging es am Wasser entlang bis wir an das alte Kraftwerk in Spandau kamen und dann schon die Fähre von Borchardt sehen konnten. Google Earth hatte die Strecke zu 19 km vermessen und wir liefen sie durch. In Schneefall und Kälte und unter 2 Stunden. Ein Ziel war geboren: der Berlin Halbmarathon Anfang April. Bis dahin galt es aber noch ein paar Kilometer in die Beine zu bekommen. Also rannten wir an den Wochenenden um den See, mal die Nordschleife über Henningsdorf, mal die Südschleife, die über Spandau nach Saatwinkel und Tegel in 18km wieder nach Tegelort führt.

Am 1. April war es dann soweit. Paul und ich standen in gelbe Plastiktüten gegen die morgendliche Kühle im Startblock. An Pauls Schuh blitze ein niegelnagel neuer Chip zur Zeiterfassung, an meinem Schuh war natürlich die Traditionsmarkierung, die mich über so viele Laufevents treu begleitet hatte, angebracht. Bekleidet waren wir mit schwarz-weißen Hosen und schwarz-roten Leibchen auf deren Rücken stolz der Schriftzug unseres Vereins gedruckt war: Tegeler Segel Club! Da erfolgte der Startschuss! Die Meute von über 26.000 Läufern setzte sich johlend und klatschend in Bewegung. Nach zwei Minuten überschreiten wir die Startmatte, der Startcomputer piept zufrieden als er Pauls und meinen Chip registriert. Die Zeit läuft, Uhr gestartet, los geht's. Ich übernehme die Führung, Paul direkt hinter mir. Wir manövern uns durch die Läufer, die langsamer laufen als wir. Viele sind es nicht, wir haben uns beim Start gut positioniert, als wir bei Kilometer 2 das Brandenburger Tor passieren, sind wir schon im Rhythmus. Die Uhr zeigt 4:30 min pro Kilometer. Wir sind gut dabei.

Der Halbmarathon geht 21.096 km über eine sehr reizvolle Strecke: Nach dem Start am Alex geht es über Unter den Linden, durch Brandenburger Tor bis zur Gold-Else. Dann wird am Ernst-Reuter Platz auf die Otto-Suhr Allee verschwenkt und das Charlottenburger Schloss besucht. Schlossstraße runter bis man am Olivaer Platz auf den Ku'damm trifft. Diesen hoch bis zum Tauenziehn und dann zur Urania. Von da aus geht's am Lützowufer entlang zum Postdamer Platz und zur Leibziger Straße. Man folgt der Friedrichstraße, Koch- und Mauerstraße bis man hinter dem roten Rathaus ist und schon fast wieder den Alex sieht. Rum um die derzeit größte Berliner Baustelle und rauf auf die Zielgeraden. Am Schlossgarten ist dann Schluss.

Paul und ich laufen locker. Die Kilometerzeit bleibt konstant zwischen 4:25 und 4:35. Die Kilometer spulen sich ab. Bei Kilometer 10.5 haben wir Halbzeit und erreichen gerade den Olivaer Platz. Wir ereichen das KdW, plötzlich fangen wir wieder an, Läufer zu überholen. Paul schaut mich verdutzt an. Ich blicke auf die Uhr. Immer noch 4:30 auf den Kilometer. Das Feld wird langsamer. Zunächst noch langsam, dann aber immer stärker pflügen wir durchs Feld, vorbei an vielen, die auf der zweiten Hälfte rausnehmen müssen. Kilometer 18 macht sich langsam die Müdigkeit bemerkbar. Paul will rausnehmen. Ich motiviere ihn. "Bleib an meiner Hacke, schau nur auf meine Füße, lass Dich ziehen!" Es klappt, das Tempo bleibt. Kilometer 20, nur noch wenige Minuten. Kilometer 20.5, wir drehen um den Alex. "Ich heb den Puls auf, lauf los, wenn Du willst!" rufe ich Paul zu. Und Paul gibt Gas, ich habe Mühe dranzubleiben. Wir kommen auf die Ziellinie, gemeinsam rennen wir ins Ziel. Die Uhr bleibt bei 1:36:42 stehen. Wir sind platt, doch welch ein Erfolg!

Tags drauf tun uns die Beine weh, doch wir sind infiziert: Der Laufvirus hat uns gepackt! 25km von Berlin, wir kommen. Der ehemalige "Franzosen-Lauf" findet am 6. Mai statt und soll unsere nächste Herausforderung sein. Wir behalten das bewährte Trainingsschema bei und lassen uns auch nicht von brütendem Sonnenschein und Ansegeln abhalten.

Am Morgen des Lauftages weckt uns strahlender Sonnenschein. So schön das für viele auch sein mag, einem Langstreckenläufer dreht so ein Wetter den Magen um: viel zu heiß! Aber gut, los geht's. Jessi und Jule bringen uns zum Olympiastadion, wo der Start stattfindet. Um 20 vor 10 finden wir uns auf dem Olympischen Platz ein und schauen uns den Start der Skater an. Eine Horde unglaublich verrückt schneller Freaks macht sich auf den 25km langen Kurs, um ihn in minimal 40 Minuten zu runden.

Kurz darauf sind wir dran. Es sind "nur" 5000 Läufer am Start, im Vergleich zum Halbmarathon geht es schon fast familiär zu. Der Startschuss fällt und wir machen uns auf den Weg. Es sind schon 24°C und die Sonne brennt vom Himmel. Die ersten Kilometer gehen bergab. Wir pendeln uns bei 4:20 min/km ein. Unser Ziel ist es unter 2 Stunden zu bleiben, das würde bedeuten 4:45, also sind wir etwas schnell. Aber es geht ja bergab. Wir kommen auf den Kaiserdamm, von hier oben reicht der Blick bis zur Gold-Else. Und dorthin führt uns auch der Weg, dann bis zur Friedrichstraße und am Postdamer Platz vorbei. Es geht am Lützowufer zum Tauenziehn und dann den Ku'Damm bis zur Leibnizstraße. Von hier aus rauf auf die Kantstraße und bis zum Theo. Dort biegt man auf die Heerstraße ab und läuft bis zur Pasewalker, dann rum ums Stadion und hinein durch Marathon-Tor. Schon jetzt freuen wir uns auf dieses Erlebnis.

Am Brandenburger Tor hat sich unsere Geschwindigkeit bei 4:30 min/km stabilisiert. Die Hitze macht uns zu schaffen. An jeder Verpflegungsstation, die alle 5km auf uns warten, greifen wir zwei Becher Wasser. Aus einem versuchen wir ein paar Schluck in den Mund zu bekommen, den anderen kippen wir uns gleich über den Kopf zur Kühlung. Am Wittenbergplatz sehen wir Jule und Jessi. Kilometer 17 drehen wir auf die Kantstraße. Ab jetzt geht es praktisch bis zum Ziel nur noch bergauf. Paul weiß das glücklicherweise noch nicht, aber mir schwant schon böses. Erneut sehen wir die Mädels, das beflügelt. Wir erreichen Kilometer 18. Immer noch mit 4:30. Paul merkt die Hitze. "Kai, rausnehmen, es geht nicht mehr!" Ich hatte das erwartet. Hohes Tempo, warmes Wetter, das geht nicht gut. Innerhalb von 2 km gehen wir runter auf 5 min/km. Wir sind oben am Theo. Es geht leicht bergab auf die Heerstraße. Wir kommen zum Halbmarathonpunkt. 1:36:12, noch mal 30 Sekunden schneller als beim Halbmarathon. Doch das dicke Ende kommt noch, als wir um die Kurve kommen. In einer lange Steigung zieht sich die Heerstraße zum Stadion. Wir keuchen, Paul schleppt sich, hält aber tapfer das 5min/km Tempo, Respekt! Im Auto überholen uns die Mädels, hupen und winken. Paul quält sich ein Lächeln ab und winkt zurück. Endlich oben drehen wir auf die Pasewalker. Und wieder geht es bergan. Doch wir sind schon an km 23.

Es geht aufs Stadion zu, wir haben den Berg genommen. Km 24, immer noch 5 min/km und wir hören schon die Musik aus dem großen Rund. Wir drehen auf das Stadion zu, der Weg führt bergab durch ein Tor, wie in eine Tiefgarage. Ohrenbetäubender Lärm umfängt uns, hier im Durchgang steht eine Samba-Band und hämmert den Steelband-Beat in ihre Trommeln. Wir tanzen geradezu bergab in die Katakomben. Dann geht es um eine letzte Kurve, Tageslicht und grüner Rasen voraus. Ich hebe den Puls auf, Paul mobilisiert die letzten Kräfte, ich versuche dran zu bleiben. Wir kommen durchs Marathontor umgeben von dichtem Teathernebel und bunten Lichtern. Hinein ins Stadion und auf die blaue Tartanbahn. Ein Schauer läuft mir den Rücken runter, Gänsehaut. Paul geht in einen Sprint, ich ziehe nach. Da ist die Ziellinie, die Uhr steht bei 1:55:32, grandios! Was für ein genialer Lauf, was für eine gute Zeit und was für eine Hitzeschlacht. Paul ist fertig auf dem Reifen und auch ich kann einen kühlen Drink vertragen!

Wie gut, dass es einmal die Steppe gab und A. afarensis, sonst hätten wir beide uns niemals diesem wundervollen Virus hingeben können. Sicher, segeln ist schön, aber laufen macht auch Spaß! Versuche es doch mal selbst. Tipps und Tricks, sowie ein kleines Probeläufchen, sind bei mir oder bei Paul gratis!

Kai Jürgens

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